Archiv | April, 2012

Marburger Abstände

2 Apr

Jeder Tag ist ein Höhepunkt einer schon seit geraumer Zeit gärenden Melange Marburger Zustände, Umstände, Aufstände. Davon brauchen wir Abstand.

Jeder Tag, jede Gruppe, jeder Ort und jede Person, jedes Wort ist Anlass für einen Aufschrei. Doch wohin sollst du schreien? Wie sollst du dir Luft machen? Zu eng ist es in dieser Stadt, in der die Häuser so nah beieinander stehen, dass die Sonnenstrahlen den Boden nicht erreichen. Zug eng ist es in dieser Szene, in der jeder oder jede alle kennt oder vermeint es zu tun. Zu eng ist in diesen Kneipen, in denen du alle Gesichter schon gesehen hast.

So viele in der Marburger Szene fühlen sich damit nicht wohl. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, sich beobachtet zu fühlen und nicht allein sein zu können. Denn immer triffst du zufällig irgendwen. Wer hat sich nicht schon einmal unter Druck gesetzt gefühlt, weil er oder sie etwas zustimmte, das er oder sie gar nicht gut fand. Einfach nur, um es sich nicht mit den anderen zu verscherzen. Oder schwieg. Ständig gibt es Gerüchte, weil alle über alle reden, weil alle immer alle kennen, zusammen wohnen, zusammen organisiert sind, zusammen studieren.

Die Freiräume, die die Marburger Szene betreibt, sind vielleicht weniger von Sexismus und Rassismus durchzogen, aber frei von sozialem Druck und Kontrolle sind sie nicht. Es gibt zu wenig Öffentlichkeit und Privatheit gleichermaßen, von einer Aufhebung kann keine Rede sein. Es fehlt an Rückzugsräumen, in denen wir mal ohne Szene snd. Und gleichzeitig bleibt das Meiste, das gemacht wird, in der Szene, von der Szene für die Szene. Sie ist ihr eigenes oft einziges Publikum. Alles Private ist politisch und die gemachte Politik ist privat.

Das „denunzieren“ manche als „Nestwärme“ und andere nennen es liebevoll „zu Hause“. Dazwischen sind die Marburger Abstände.