Versöhnungsgeste?

11 Jun

Es ist kein Zufall, dass die Lokal-Provokateure von „Marburger Zustände“ keinen eigenen Beitrag zur Kritik der linken Szene Marburgs produzieren, sondern lediglich auf einen verweisen. Dieser ist selbstverständlich in Diskussion mit dem „Forum für Einzelpersonen“ entstanden. Allzu verständlich, dass sich die „Zustände“ bemühen in die Nähe eines Textes zu rücken, der mehr bietet als „schlechte Polemik“.

Unter dem lustigen Titel „Alles freigeräumt“ diskutiert der Marburger Blog „nichtidentisches“ viele Fragen, die die hiesige Szene umtreiben: Definitonsmacht, Hausverbote, Gewalt, Schutzräume, Freiräume. Und wie sich hehre Ziele in den Schluchten dieser Stadt verlieren und in ihr Gegenteil verkehren können.

Niemand kann diesem Beitrag absprechen Argumente vorzubringen und mehr zu bieten, als „mimimi“ und Gelaber. „Beschissen“ ist der Text allemal nicht, wenn auch sicherlich nicht das Ende aller Diskussion. Sondern im Gegenteil: Vieles hier muss der Anfang von einer solchen sein. Von Diskussionen, und auch von Vorwürfen. Bleibt zu hoffen, dass Marburg dieses indirekte Angebot zum Dialog annimmt. Mehr Gesten der Versöhnung darf es nicht erwarten.

Fang‘ mir an mit Kritik!

6 Jun

Wenn du versuchst einen nassen Teebeutel triefend von Kritik in den Mülleimer deiner eigenen Szene zu werfen, aber nicht triffst, dann gibt’s Flecken an der Wand. (Earl Grey)

Auf dem Blog „Marburger Zustände“ wurde ein Flyer veröffentlicht, der den provozierenden Titel trägt: „Hör mir uff mit Kritik“. Leider ist die Überschrift Programm. Statt „vernichtender Kritik“ ernten wir am Ende doch vor allem Beschimpfungen: Die Kritik hört auf, bevor sie begonnen hat. Zwar fängt der Flyer mit einer durchaus treffenden Beschreibung der in der Marburger Linken Szene nicht vorhanden Streitkultur an, deren Bemängelung wohlbemerkt in das Standardrepetoire einer Selbstkritik der meisten Linken in Marburg gehört; nach dem Motto „was man immer schonmal ändern wollte, was aber auch noch eine Weile warten kann“ (hierzu hat jüngst auch der Blog Marburger Umstände- die neuen „Marburger Zustände“?- einen mit Vorsicht zu genießenden Beitrag verfasst, der kommetiert bei finni.blogsport zu finden ist). Doch spätestens wenn dann von der „Paranoia“ der Szene, die überall Sexismus und Rassismus wittert, die Rede ist, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Flyer ernsthaft um Kritik handeln soll. Was wir dann zu lesen bekommen sieht vielmehr nach einem kläglich gescheiterten Versuch linke Identitätspolitik und Klüngelei anzuprangern aus, bei dem sich die Verfasser_innen selbst in wilden Behauptungen verfangen. So bleibt am Ende doch nur ein Pamphlet, in dem eine Gruppe Menschen Dampf ablässt und scheinbar endlich los wird was ihnen „schon lange auf dem Herzen lag“, statt zu begründen warum im Fall von Thomas Maul eine Blockade eben keinen Sinn macht oder besser noch: sinnvoll erklärt warum eine Grundsatzkritik an der Marburger Szene angebracht ist. Dieser Umstand bedeutet vor allem eins: Die durchaus berechtigten und nötigen Vorwürfe an die Marburger Szene, ihre Mitglieder, die politische Kollektivkneipe Havanna8 und die dazugehörigen Standpunkte werden völlig entwertet. Statt einer Auseinandersetzung mit den Problemen, gehen die Betroffenen, die im Sinne der Flugblattschreibenden Getroffene sein sollten, ohne Scham gegen „Marburger Zustände“ auf die Barrikaden. Die Marburger Zustände ohne Anführungszeichen bleiben unterschiedslos dieselben.
Und das lässt die Menschen hinter den „Zuständen“ triumphieren: Denn sie behalten recht. Das Fernziel ist auch hochgesteckt. Eine Person aus diesem weiten Feld äußerte sich dahingehend, dass nur die „totale Selbstaufklärung“ des Havanna8 die Versöhnung der „Zustände“ mit Marburg ermöglichen würde.

Im Havanna8, von seinem selbsternannten „Lieblingskneipenkollektiv“ auch Height genannt, steht Selbstkritik jedoch tatsächlich nicht sehr hoch im Kurs. Zumindest wird dieser Eindruck bei Thekengesprächen, bei denen es um mehr als die Musikauswahl geht, immer wieder aufs Neue bestätigt (und manchmal selbst da). Die Frage mit welchem Recht der Laden sich noch als „politisch“ bezeichnet wird oft gestellt. Sie lässt sich aber beantworten, zum Beispiel mit dem Verweis auf kollektive Hausverbote für Burschen, politisch motivierte Kleiderordnung („Pali-Tuch“) oder die Sanktionierung sexistischer Sprüche. Nicht zuletzt das Hausverbot gegen Thomas Maul und diejenigen, die ihn nach Marburg einluden zeigt, dass sich im Havanna8 einiges politisch tut. Die Frage ist also nicht die, ob der Raum ein politischer ist. Vielmehr muss gefragt werden, wer durchsetzt das Territorium hier wie?

Die Kritik, die die „Zustände“ andeuten, müsste gebracht werden. Nicht nur am Havanna8, sondern an allen Marburger Zuständen. Vielleicht fehlte der Abstand?

Aber sie darf nicht nur von einem Phantom formuliert werden, auch wenn dies in der angespannten Lage der Stadt gerade nicht anders möglich ist. Doch die Kritik, die jetzt noch vorgetragen werden soll, von einem scheinbaren Außen, muss sich letztlich in Selbstkritik transformieren. Allez!

Marburger Abstände

2 Apr

Jeder Tag ist ein Höhepunkt einer schon seit geraumer Zeit gärenden Melange Marburger Zustände, Umstände, Aufstände. Davon brauchen wir Abstand.

Jeder Tag, jede Gruppe, jeder Ort und jede Person, jedes Wort ist Anlass für einen Aufschrei. Doch wohin sollst du schreien? Wie sollst du dir Luft machen? Zu eng ist es in dieser Stadt, in der die Häuser so nah beieinander stehen, dass die Sonnenstrahlen den Boden nicht erreichen. Zug eng ist es in dieser Szene, in der jeder oder jede alle kennt oder vermeint es zu tun. Zu eng ist in diesen Kneipen, in denen du alle Gesichter schon gesehen hast.

So viele in der Marburger Szene fühlen sich damit nicht wohl. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, sich beobachtet zu fühlen und nicht allein sein zu können. Denn immer triffst du zufällig irgendwen. Wer hat sich nicht schon einmal unter Druck gesetzt gefühlt, weil er oder sie etwas zustimmte, das er oder sie gar nicht gut fand. Einfach nur, um es sich nicht mit den anderen zu verscherzen. Oder schwieg. Ständig gibt es Gerüchte, weil alle über alle reden, weil alle immer alle kennen, zusammen wohnen, zusammen organisiert sind, zusammen studieren.

Die Freiräume, die die Marburger Szene betreibt, sind vielleicht weniger von Sexismus und Rassismus durchzogen, aber frei von sozialem Druck und Kontrolle sind sie nicht. Es gibt zu wenig Öffentlichkeit und Privatheit gleichermaßen, von einer Aufhebung kann keine Rede sein. Es fehlt an Rückzugsräumen, in denen wir mal ohne Szene snd. Und gleichzeitig bleibt das Meiste, das gemacht wird, in der Szene, von der Szene für die Szene. Sie ist ihr eigenes oft einziges Publikum. Alles Private ist politisch und die gemachte Politik ist privat.

Das „denunzieren“ manche als „Nestwärme“ und andere nennen es liebevoll „zu Hause“. Dazwischen sind die Marburger Abstände.